9 Zeitzonen und ein Herzschlag
Unsere Fernbeziehung zwischen Zürich und Vancouver
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich ihn zum ersten Mal sah. Es war auf einer Studienreise in Montreal – ein kurzer Austausch an der Kaffeemaschine während einer Konferenzpause. Ich aus Zürich, er aus Vancouver. Drei Minuten Smalltalk, ein Lächeln, dann zurück zu den Vorträgen. Und trotzdem: Irgendetwas war da.
Wir trafen uns in den folgenden Tagen noch öfter, rein zufällig – im Aufzug, im Museum, einmal sogar im gleichen Sandwichladen. Beim letzten Abendessen der Konferenz sassen wir nebeneinander. Drei Stunden lang redeten wir, als würden wir uns schon Jahre kennen. Als ich ihn am Flughafen umarmte, sagte ich zum Spass: „Vielleicht ist das ja der Anfang von etwas Absurdem.“ Er lachte. Ich auch.
Zwei Wochen später schrieben wir uns täglich. Dann kamen die ersten Videoanrufe, die ersten „Ich vermisse dich“-Nachrichten. Es war verrückt, aber irgendwie auch klar: Wir wollten schauen, wohin das führt.
Und dann begann sie – unsere Fernbeziehung.
9 Zeitzonen – und die Kunst, gleichzeitig wach zu sein
Der Zeitunterschied war brutal. Wenn ich Feierabend hatte, war er noch nicht mal aus dem Bett. Unsere Gespräche fanden oft irgendwo zwischen meinen Morgenkaffees und seinen Mitternachtsgedanken statt. Wir lebten in versetzten Welten – und doch waren unsere Gedanken immer synchron.
Es gab Tage, an denen ich mich allein fühlte. Besonders sonntags. Wenn Freunde brunchen gingen und ich stattdessen wartete, bis in Vancouver endlich Mittag war. Er vermisste es, mich nach der Arbeit in den Arm zu nehmen. Ich vermisste es, überhaupt irgendetwas gemeinsam zu machen.
Aber da war auch die Tiefe. Wir redeten über alles. Viel offener, ehrlicher, verletzlicher, als ich es je in einer „nahen“ Beziehung erlebt hatte.
Unsere Rituale: digital, aber echt
Wir machten uns Routinen: Jeden Mittwochabend war unser „Film-Date“ über Teleparty. Sonntags schrieb jeder dem anderen drei Dinge, für die er in der Woche dankbar war. Wir schickten uns Briefe – ja, richtige Briefe – mit kleinen Überraschungen. Ich bekam einmal eine getrocknete Ahornblattseite mit seiner Handschrift darauf. Ich habe sie immer noch.
Wiedersehen – wie der erste Kuss
Unser erstes Wiedersehen war vier Monate nach dem Abschied in Montreal. Ich stand am Flughafen Zürich, völlig nervös. Als er durch die Tür kam, fühlte es sich an wie ein Film. Alles war gleichzeitig vertraut und neu. Sein Lächeln war dasselbe. Nur dass ich es jetzt wirklich sehen konnte – nicht durch einen Bildschirm.
Heute
Zwei Jahre später leben wir immer noch in zwei Städten. Aber wir sind nicht mehr planlos. Wir sparen, wir planen, wir träumen. In einem Jahr ziehe ich nach Vancouver. Nicht, weil ich aufgebe, was ich in der Schweiz habe – sondern weil wir beschlossen haben, gemeinsam etwas Neues zu bauen.
Eine Fernbeziehung ist nichts für Feiglinge. Aber sie zeigt dir, wie stark Liebe sein kann, wenn man ihr Raum lässt – auch über Ozeane hinweg.